Home

Dass Abwässer nicht nur als lästiger Abfall anzusehen sind, sondern durchaus nützliche Informationen bereitstellen können, hat spätestens im Zuge der COVID-19-Pandemie auch mediales Interesse erfahren. Da SARS-CoV-2 wie etliche andere Viren fäkal ausgeschieden wird, ist es nur plausibel, dass Viruspartikel auch im Abwasser auftauchen und dort nachgewiesen werden können. Aber eignet sich die das Abwassermonitoring tatsächlich als epidemiologische Maßnahme?
Sucht man in wissenschaftlichen Literaturdatenbanken wie PubMed nach Artikeln zum Abwassermonitoring, wird schnell klar, dass sich die Anzahl von Treffern in den letzten Jahren stark erhöht hat. Dabei dominieren seit 2020 verständlicherweise Artikel, die sich mit SARS-CoV-2 befassen. Ein aktueller systematischer Übersichtsartikel eines Forschungsteams aus Singapur identifizierte insgesamt 763 Studien, die sich mit der Korrelation von Viren im Abwasser und COVID-19-Fällen in der Bevölkerung befassten, und schloss letztlich 92 Studien in die Analyse ein [1]. Bis auf vier berichteten alle über einen möglichen Zusammenhang zwischen Abwassersignalen und COVID-19-Fällen in der Gemeinschaft. Allerdings zeigte sich auch, dass die Abwassersignale bestätigten Fällen um bis zu 63 Tage vorausgingen und sich somit nicht eigneten, die Zahl aktuell infizierter Personen einzuschätzen. Der Review macht außerdem darauf aufmerksam, dass positive Abwasserproben in den Studien nicht einheitlich definiert und die Methoden größtenteils nicht validiert wurden. Somit schlussfolgert das Forschungsteam zwar, dass das Abwassermonitoring einige Vorteile gegenüber herkömmlichen epidemiologischen Methoden hat (z.B. geringer Zeitaufwand, geringe Kosten, kein Expositionsrisiko), es die klinische Überwachung (z.B. durch PCR-Testungen) jedoch nur ergänzen kann. Sollten einheitliche Standards etabliert und statistisch belastbare Daten zur Zuordnung von Fallzahlen generiert werden, könnte die Methode Ländern aber zukünftig durchaus erlauben, aktiver auf das pandemische Geschehen zu reagieren [1].
Im Zuge der zweiten Pandemiewelle waren bestimmte Landkreise in Deutschland zeitweise besonders stark vom Infektionsgeschehen betroffen. Eine aktuelle Fallstudie aus dem Berchtesgadener Land beschreibt, wie dort ab November 2020 die Maßnahmen des Krisenstabs durch ein flächendeckendes SARS-CoV-2-Biomarker-Abwassermonitoring zur Früherkennung von Änderungen im lokalen Infektionsgeschehen sowie des Auftretens von Virusvarianten ergänzt wurden [2]. Die Proben wurden zweimal wöchentlich von neun kommunalen Kläranlagen sowie drei Probenahmestellen aus der Kanalisation auf automatisierte Weise entnommen und repräsentierten ca. 100.000 Einwohner (ca. 95%) des Landkreises. Durch die zügige Weiterleitung lagen die Ergebnisse nach maximal 48 Stunden vor und konnten einem regionalen Dashboard zugeführt werden, in dem u.a. die Neuinfektionen der letzten 7 Tage sowie pro Tag dokumentiert wurden. Dabei zeigte sich, dass die gemessenen Abundanzen die Änderungen im Infektionsgeschehen mit einem Vorlauf von ca. 10 Tagen vor den offiziellen Fallzahlen sehr gut abbildeten. Die Fallstudie demonstrierte somit, dass innovatives Krisenmanagement möglich ist und sich mit Hilfe des Abwassermonitorings sowohl Anstiege als auch Rückgänge des Infektionsgeschehens prognostizieren lassen [2].
Auch wenn Shah et al. auf Basis der internationalen Studienlage derzeit noch methodische Schwächen beim Abwassermonitoring sehen und dieses eher als komplementären Ansatz zu gängigen epidemiologischen Methoden verstehen [1], empfiehlt die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten bereits seit 2021 ein flächendeckendes Abwassermonitoring. Momentan wird die Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser überprüft, so dass noch 2022 ein Legislativvorschlag vorgelegt werden kann [3]. Ganz neu wäre die stärkere Implementierung des Abwassermonitorings sicher nicht, denn bei der globalen Ausrottung des Poliovirus spielt die Surveillance von Abwässern bereits seit Jahren eine große Rolle [4]. Diese ermöglichte auch den kürzlichen Nachweis von Polio-Impfviren in Londoner Abwässern, die zwar keine akute Gesundheitsgefahr darstellen, aber darauf hinweisen, dass der Kampf gegen die Krankheit nicht vorbei ist.
Quellen: